Natürlich könnten wir euch jetzt einen langen Katalog der Maßnahmen vorsetzen, die im Detail beleuchten, was skandinavische Länder in Sachen Gendermainstreaming tun und wie die politischen Forderungen formuliert werden. Doch viel spannender: Lasst uns schauen, was genau passiert und welche Maßnahmen in der Realität der Bevölkerung wirklich sichtbar werden.
Also los geht’s, Fokus on: Norwegen!
(Die Angaben werden größtenteils aus dem Länderbericht des Genderkompetenzen Zentrums der Humboldt Universität Berlin entnommen)
Fast die Hälfte
2008 zählen geschätzte 2,5 Millionen Einwohner*innen zu den erwerbsfähigen Menschen, davon 47 % Frauen. Das macht: 7 von 10 Frauen. Spannend ebenso: Die Arbeitslosenquote bei Frauen liegt mit 2,5 % unterhalb der von Männern (2,6 %). Natürlich hat auch in Norwegen die Corona-Krise Einfluss auf die Differenzen der Einkünfte, die tatsächlichen Auswirkungen werden wohl erst in den nächsten Jahren skalierbar sein.
(Europaweite Quoten zur Erwerbstätigkeit findet ihr auch hier: Erwerbstätigkeit nach Geschlecht | bpb.de)
Politik machen
Wählen dürfen norwegische Frauen seit 1913. 1970 folgten die ersten feministischen Bewegungen, die sich für eine Erhöhung des Frauenanteils stark machten, 1971 wurden diese Initiativen als „Frauen-Coups“ bekannt. Die erste Ministerpräsidentin folgte 1981, Gro Harlem Brundtland besetzte ihr Kabinett fast zur Hälfte weiblich.
Aktuell sind in Jonas Gahr Støres Kabinett Frauen in der Überzahl: acht Minister und zehn Ministerinnen. Außerdem haben oder hatten alle großen norwegischen Parteien weibliche Parteivorsitzende.
Branchenspezifisch
Gendermainstreaming ist in der privaten Wirtschaft Norwegens ein großes Thema, weshalb einige politische Regelungen zur Unterstützung der Gleichberechtigung unternommen wurden. Besonders bedeutend: der Public Limited Companies Act (Aktiengesellschaftsgesetz), der 40 % Frauenanteil für Verwaltungsräten aller Aktiengesellschaften in Privatbesitz festlegt. 2004 erlassen, Zieljahr 2008, damit ist Norwegen das erste Land weltweit, welches eine Quotenregelung für die Privatwirtschaft festlegt. Zum Vergleich: In Deutschland lag der Frauenanteil im gleichen Jahr bei 8 %. Zu vermuten ist jedoch, dass diese Regelung lediglich die Untermalung und logische Konsequenz einer gesamtgesellschaftlichen Haltung gegenüber Frauen in Führungspositionen ist. Am höchsten ist die Frauenquote Norwegens im Öffentlichen Dienst (48 %), leider liegt der Anteil der Frauen in Führungsposition hier jedoch hinter dem Wert der anderen Sektionen zurück. Gründe lassen sich in den Einschränkungen finden, die mit einer Teilzeitbeschäftigung einhergehen. Im Verdienstvergleich holen Frauen in allen Bereich auf und nähern sich somit dem Einkommen der Männer an.
An den Unis
Frauen studieren in Norwegen bereits seit 1882 an der Universität. Mittlerweile liegt der Anteil der Absolventinnen bei über 60 %. Und auch unter den Dozent*innen sind die Zahlen überzeugend. Zur Steigerung der Frauen, die als Privatdozentinnen und Professorinnen arbeiten, wurden an der Universität Oslo Institute mit einer Summe von ca. 500.000 Euro ausgelobt, die hier besonders gut performen. Zeitweise wurden in Norwegen Stellen im Universitätssystem nur für Frauen ausgeschrieben.
Rollenbilder
Abseits der politischen Regularien liegt wohl der größte Grund für die überdurchschnittliche und tatsächlich gelebte Geschlechtergerechtigkeit in der gesellschaftlichen Haltung gegenüber klassischen Rollenverteilungen und der Organisation von Elternschaft. So ist Arbeitsteilung besonders für junge norwegische Familien ein hohes Gut. Dem entspricht beispielsweise die Einführung der Verlängerung der Vaterzeit. Dies ermöglicht auch ohne Einkommenseinbußen beiden Elternteilen ihre Arbeitszeit individuell anzupassen. Von der Allgemeinheit wird das „Doppel-Verdiener-Modell“ angestrebt, welches dem traditionellen Ernährer-Modell gegenübersteht. Außerdem erhalten arbeitslose Mütter direkt nach der Geburt eine staatliche Unterstützung von ca. 5000 Euro. Für Haushalte mit Kindern unter 12 Jahren stehen den Eltern 10 Tage unbezahlter Urlaub bei Krankheit des Kindes zu. Erweiterter unbezahlter Urlaub von 15 Tagen bei zwei Kindern, und 20 /30 Tage bei Alleinerziehenden.
Die vorteilhafte Situation hat entgegen der Meinung so mancher Kritiker keine Auswirkungen auf die Geburtenrate, diese liegt im Europa Vergleich im Durchschnitt bei 1,5.
„Nirgendwo auf der Welt sind Mütter glücklicher, nirgendwo ist es einfacher, Familie und Job zu vereinbaren als in Norwegen. Das sagen alle Statistiken.“, titelt der Spiegel.
Das „Ministerium für Kinder und Gleichstellung“
2006 wurde das seit 1991 bestehende „Ministerium für Kinder- und Familienangelegenheiten“ in das „Ministerium für Kinder und Gleichstellung“ umbenannt. Deutlich wird hier die Fokussierung auf Lohngleichheit sowie Ausgewogenheit im Geschlechterverhältnis. Aber auch Initiativen gegen Geschlechtsverstümmlung, Zwangsehe, Frauenhandel sowie sexueller Missbrauch sind Schwerpunkt der Arbeit. Zuzüglich wird die Position eines*r „nationalen Gleichstellungsbeauftragten“ besetzt.
Arbeitsethos
Ein hoher Stellenwert der Freizeit, Qualitytime mit der Familie, die Wertschätzung der Natur, … Arbeit gehört in Norwegen nicht zu den Top-Prioritäten und wird eher selten als Pfeiler der eigenen Identität bewertet. Interessanter Fakt: In Sachen Arbeitskleidung halten es Norweger*innen eher locker, während zu privaten Anlässen chic machen gern gesehen ist. Auch der pünktliche Feierabend wird in Norwegen hochgehalten.
Natürlich klingt das zunächst erstrebenswert und doch überkommt uns ein ganz kleines bisschen Wehmut …, denn seien wir mal ehrlich: Die ein oder andere von uns liebt es doch, sich bis spät abends hinter ein neues Projekt zu klemmen, aufs Ganze zu gehen, mit voller Kraft voraus für die eigene Vision auch ein paar Einbußen in der Freizeit hinzunehmen, weil wir wissen, dass wir da gerade unseren eigenen(!) Traum leben.
Janteloven- Juhu?
Janteloven, oder auf Deutsch Jantegesetzt bedeutet flache Hierarchien und Gleichberechtigung auf jeder Ebene und allen gesellschaftlichen Teilbereichen. Zurückhaltung zum Vorteil der Gemeinschaft ist gern gesehen. Solidarität als ein wichtiger Aspekt der norwegischen Kultur, anstelle von aufstrebenden Alleingängern, die ihren Erfolgen in den Vordergrund stellen. Das Jantegesetz stammt aus dem Jahr 1933 und geht auf den Schriftsteller Aksel Sandemose zurück. Er legte folgende Regeln fest:
Du sollst nicht glauben, dass du etwas Besonderes bist.
Du sollst nicht glauben, dass du genauso viel bist wie wir.
Du sollst dir nicht einbilden, dass du besser bist als wir.
Du sollst nicht glauben, dass du mehr bist als wir.
Du sollst nicht glauben, dass du zu etwas taugst.
Du sollst nicht glauben, dass sich irgendjemand um dich kümmert.
Auch wenn wir diesen Katalog gern so manch einem Patriarchat vortragen würden, so bleiben doch Zweifel, ob eine solche Mentalität für jede von uns erstrebenswert erscheint. Schließlich sind es die Entrepreneurinnen und Menschen mit wilden Ideen, die mit ihrer Überzeugung und der eigenen Stärke Innovation vorantreiben und manchmal auch waghalsige Geschäftsideen zu ungeahntem Erfolg führen.
Somit erscheint andernorts eben doch nicht alles besser.
Milliardärinnen?
Katharina Andresen, die älteste Tochter des norwegischen Investors Johan H. Andresen erbte gemeinsam mit ihrer Schwester Alexandra jeweils 42,2 % von Ferd AS. „Forbes“ schätzt ihr Vermögen auf 1,4 Milliarden US-Dollar, was sie zur Nummer 4 im Ranking der jüngsten Milliardäre macht. Die jüngere der beiden Schwestern lebt übrigens in Deutschland.
Beeindruckende Vorbilder
Zum Abschluss wollen wir euch noch eine echte norwegische Vorreiterin vorstellen, Monica Kristensen ist eine der bekanntesten norwegischen Polarforscherinnen. Sie leitete zahlreiche Expeditionen in arktische und antarktische Gebiete. Von 1998 bis 2003 war sie Direktorin der Kings Bay GmbH, der Kohlebergwerkgesellschaft in Ny-Ålesund auf Spitzbergen. Darüber hinaus promovierte sie an der Universität von Cambridge in Glaziologie. Für ihre Forschungsarbeiten erhielt sie mehrere bedeutende wissenschaftliche Auszeichnungen, darunter die Goldmedaille der Royal Geographical Society. In Deutschland kennt man sie mitunter als Krimi-Autorin.